Klimaneutral in elf Jahren: Vier Kommunen in Baden-Württemberg starten erste vom Land geförderte Maßnahmen
29.04.2024
Pressemitteilung der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) Karlsruhe, 29. April 2024
Denzlingen, Ludwigsburg, Freiburg und der Landkreis Calw erhalten Förderbescheide vom Umweltministerium
Bereits 2035 wollen Denzlingen, Ludwigsburg, Freiburg im Breisgau und der Landkreis Calw in Baden-Württemberg klimaneutral sein. Im vergangenen Jahr haben sie dazu Pläne vorgelegt und sich gegenüber anderen Kommunen in einem Wettbewerb des Landes durchgesetzt. Nun hat das Umweltministerium alle Förderbescheide überreicht: In den nächsten drei Jahren stellt das Ministerium insgesamt 11,5 Millionen Euro für die Kommunen bereit. Die Gemeinde, die zwei Städte und der Landkreis beginnen nun mit den ersten Maßnahmen. Die KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) begleitet sie bis zum Zieljahr 2035. Eine Internetseite bietet detaillierte Informationen zu den Vorhaben und Projektfortschritten: www.kea-bw.de/kommunenwettbewerb.
Bis 2040 müssen die Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg klimaneutral sein. Das verlangt das Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz des Landes. Die zwei badischen und zwei württembergischen Preisträger im Südwesten planen sogar, dies noch früher zu schaffen: Ab 2035 wollen sie netto keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Zu diesem Zweck haben sie detaillierte Klimaschutzpläne für den Strom-, Wärme- und Verkehrssektor vorgelegt inklusive eines Stufenplans mit Zwischenzielen. Mit ihren Plänen setzten sie sich 2023 gegenüber acht anderen Kommunen im Landeswettbewerb „Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ durch. Die Vorreiter-Kommunen bekommen eine finanzielle Unterstützung vom Land, um ihre Vorhaben umzusetzen. Denzlingen erhält 500.000 Euro, Ludwigsburg zwei Millionen, Freiburg vier Millionen und der Landkreis Calw fünf Millionen Euro. Weitere Aufwendungen tragen sie selbst.
„Ambitionierte Klimamaßnahmen von Kommunen sind wichtige Vorbilder: Wir brauchen sie im Land, um unsere Ziele weiter voranzubringen und um anderen zu zeigen, dass es geht!“, so Umweltministerin Thekla Walker. „Es ist klar: Klimaschutz erfordert erhebliche Investitionen. Doch diese lohnen sich, denn Nichtstun wird teuer. Nur mit Investitionen in den Klimaschutz können Kommunen auch langfristig lebenswert gestaltet werden. Daher freue ich mich, dass wir Denzlingen, Ludwigsburg, Freiburg im Breisgau und den Landkreis Calw mit insgesamt 11,5 Millionen Euro in der Umsetzung ihrer Klimaschutzpläne unterstützen können.“
Mit Beginn des Jahres haben die Kommunen noch elf Jahre Zeit, um ihre Klimaneutralitätskonzepte umzusetzen. Viel ist das nicht, bedenkt man die großen Herausforderungen, die damit verbunden sind. Um die notwendige Akzeptanz für die Maßnahmen bei der Bevölkerung zu gewährleisten, setzen die vier Kommunen auch auf die Beteiligung der Bürgerschaft sowie der Wirtschaft vor Ort.
Denzlingen: mehr Photovoltaik, weniger Verkehr und Ausbau des Wärmenetzes
Beispiel Denzlingen: Die Gemeinde nördlich von Freiburg überzeugte im Wettbewerb in der Kategorie Kommune mit bis zu 20.000 Menschen. Sie will unter anderem den Photovoltaikausbau massiv vorantreiben. Auf drei denkmalgeschützten öffentlichen Gebäuden sollen Photovoltaikanlagen installiert werden. An einem gemeindeeigenen Gebäude ist zudem eine Solarstromanlage an der Fassade angedacht. Auch Unternehmen will die Kommune dazu motivieren, Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern, Fassaden und Parkplätzen zu realisieren. Die Gemeinde selbst plant, zwei Photovoltaik-Carports mit E-Ladesäulen über öffentlichen, zentral gelegenen Autostellplätzen zu errichten. Photovoltaikanlagen auf eigenen freien Flächen innerorts gehören ebenfalls zum Programm.
Eine Besonderheit ist das „Denzlinger Dachpachtmodell“. Ziel ist, mehr Photovoltaik auf die Dächer von Mehrfamilienhäusern zu bringen, insbesondere bei Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG). Bislang scheuen viele WEG den damit verbundenen Aufwand und haben Vorbehalte, das Dach an Investoren zu verpachten. Die Gemeinde bietet sich hier als Vermittlerin zwischen WEG und potenziellen Photovoltaik-Betreibern an und ist auch bereit, dafür das Dach zu pachten. Dienstleister wie lokale Bürgerenergiegenossenschaften übernehmen dann den Betrieb. Auch Agri-Photovoltaikanlagen und Solarparks sind Teil des Klimaneutralitätsplans. Für sie soll es eigene Bürgerdialoge geben.
Im Mobilitätssektor ist ein Maßnahmenmix vorgesehen: Sobald der Umbau der Bahnhofstraße in Denzlingen abgeschlossen ist, wird die Rosenstraße in der Ortsmitte für die Durchfahrt des Verkehrs temporär gesperrt. Die Beteiligten erhoffen sich dadurch eine bessere Lebensqualität vor Ort. Der Verkehrsfluss soll über die Bahnhofstraße umgeleitet werden. Am Ende des Verkehrsversuchs prüft die Gemeinde die Möglichkeit einer dauerhaften Sperrung. Um den Individualverkehr zu reduzieren, sind auch ein verstärkter Carsharing-Ausbau und eine Machbarkeitsbetrachtung für einen autonomen Ortsbus geplant.
Um die Wärmewende lokal voranzutreiben, koordiniert eine über die Förderung finanzierte Ansprechperson den Bau geplanter Wärmenetze. Sie wirbt zudem bei Unternehmen, Wohnungseigentümergemeinschaften und der Bürgerschaft für den Anschluss an die leitungsgebundene Wärmeversorgung. Schon bald wird das Thema auf der Tagesordnung stehen: Im Frühjahr 2024 wird in Denzlingen die kommunale Wärmeplanung abgeschlossen.
Ludwigsburg: Große Klimakampagne, digitale Tools, Solarpartys, KlimaBonus und vieles mehr
Kernelement in Ludwigsburg, der Stadt in der Kategorie mit 20.000 bis 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, ist eine großangelegte Kommunikations-Kampagne. Diese soll alle Menschen der Stadtgesellschaft in Ludwigsburg ansprechen, informieren, motivieren und befähigen, aktiv und wirkungsvoll zum Klimaneutralitätsziel beizutragen. Dabei werden verschiedene Kommunikationsmaßnahmen umgesetzt, um konkrete Handlungsempfehlungen zu vermitteln: Von Plakaten und Flyern, über Anzeigen in Social Media, bis hin zu Events, Dialogveranstaltungen und persönlichen sowie digitalen Analyse- und Beratungsangeboten, die Informationen zu energetischen Sanierungsmöglichkeiten des eigenen Hauses oder dem Photovoltaikpotenzial auf dem Dach bieten. Hierbei setzt die Stadt Ludwigsburg unter anderem auf sogenannte Solarpartys. Dabei bringen Ehrenamtliche, die von der Stadt zu Solarbotschafterinnen und Solarbotschaftern ausgebildet werden, Informationen zur Sonnenenergie in ihre Nachbarschaft.
Alle Kontaktpunkte der Bürgerschaft mit den Kommunikationsmitteln der Kampagne sollen stets einfach und niederschwellig sein. Dies soll die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Wirtschaft und Zivilgesellschaft vorantreiben und Hürden abbauen, die Privatleute und Unternehmen bislang davon abhielten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen.
Auch bei der Umsetzung will die Stadt ihren Bürgerinnen und Bürgern unter die Arme greifen und unterstützt mit dem Ludwigsburger KlimaBonus dabei, das eigene Zuhause klimafreundlicher zu machen. Die Stadt will damit erreichen, dass mehr Eigentümerinnen und Eigentümer die energetische Qualität ihrer Gebäude verbessern, Photovoltaikanlagen installieren oder Wärmenetze nutzen. Die Kommune geht hier selbst als Vorbild voran: Sie will einen Aktionsplan für den klimafreundlichen Gebäudebetrieb erstellen und umsetzen. Der Fokus hierbei liegt auf der energetischen Sanierung von Gebäuden, dem weiteren Ausbau der Photovoltaik auf städtischen Dachflächen sowie der kontinuierlichen Umstellung auf erneuerbare Wärmeversorgung.
Hinzu kommt: Im Verkehrssektor ist Ludwigsburg auf dem Weg zur 15-Minuten-Stadt. Sämtliche Bedürfnisse des täglichen Bedarfs sollen künftig zu Fuß oder mit dem Fahrrad innerhalb von 15 Minuten zu erledigen sein. Das würde das Pkw-Aufkommen in der Stadt verringern.
Freiburg: Wärmenetzverbund im Westen, Windenergie im Gewerbe und nachhaltige Ernährung
In der Größenklasse über 100.000 Bürgerinnen und Bürger konnte sich Freiburg durchsetzen. Die Stadt in Südbaden will die Klimaneutralität mit insgesamt sieben ausgewählten Maßnahmen bis 2035 nachhaltig beschleunigen. Die Breisgaumetropole plant unter anderem Wärmenetze auszubauen und vermehrt erneuerbare Energien einzusetzen. Dazu gehört insbesondere geothermische Wärme.
Angedacht ist, die im Sommer nicht benötigte Wärme zeitversetzt im Winter zur Verfügung zu stellen. Für solch lange Zeiten und große Wärmemengen kommen Aquiferspeicher in Frage. Freiburg will im Förderzeitraum geologische Voruntersuchungen durchführen. Bei Aquiferspeichern handelt es sich um unterirdische, natürliche Speicher, bei dem die Wärme in 400 bis 1.000 Meter tiefen Grundwasserleitern (sogenannten Aquiferen) gespeichert wird. Ein zusätzlicher Vorteil: Der Speicher benötigt nur wenig oberirdische Fläche. Mit dem Aquiferspeicher lässt sich überschüssige erneuerbare Wärme, Abwärme oder Kälte über Monate hinweg speichern und bei Bedarf wieder entnehmen. Aquiferspeicher wurden in Deutschland bislang noch kaum realisiert. Ein Beispielprojekt befindet sich unter dem Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages in Berlin.
In Freiburg vorgesehen ist außerdem die verstärkte Nutzung der Windenergie auch in Industrie- und Gewerbegebieten. In Baden-Württemberg gibt es bislang nur wenige derartige Anlagen. Ihre Errichtung ist künftig durch die neue Bundesgesetzgebung wesentlich einfacher geworden, sodass es keiner Flächennutzungsplanänderung bedarf. Zur Ausweisung von kommunalen Windeignungsgebieten außerhalb von Gewerbegebieten plant die Stadt punktuelle Fortschreibungen des Flächennutzungsplans als Instrument der kommunalen Bauleitplanung. Von den beiden Erfahrungen könnten auch andere Kommunen im Land profitieren – genauso wie von dem geplanten übergeordneten Kommunikationskonzept für den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der vereinzelt noch kontrovers diskutierten Windenergie.
Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur schnellen Klimaneutralität ist eine nachhaltige Lebensmittelversorgung. Ein Hof für Ernährung und Agrikultur soll sich in enger Zusammenarbeit mit dem Freiburger Ernährungsrat als Begegnungs-, Experimentier- und Lernort einer zukunftsfähigen regionalen Ernährung und Landwirtschaft widmen.
Landkreis Calw: Kreisgebäude sanieren, Mitfahrportal und Innovationsfonds
In der Kategorie Landkreise hatte Calw die Nase vorn. Der Landkreis umfasst 25 Städte und Gemeinden. 21 Maßnahmen sollen ihn beim Klimaschutz bis 2035 voranbringen. Eine davon ist ein Sanierungsfahrplan für alle Liegenschaften des Landkreises. Er beinhaltet eine Potenzialanalyse für Photovoltaik für die dazugehörenden Dachflächen und Fassaden. Anschließend sollen die Gebäude mit Hilfe eines Energieeffizienz-Experten und der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) saniert werden. Ziel ist ein geringerer Heizwärme- und Kühlbedarf sowie eine unabhängigere Stromversorgung mit günstigem und klimafreundlichem Solarstrom.
Straßen, Fahrradwege und Haltestellen sollen zudem künftig mit Photovoltaikanlagen überdacht werden. Geplant sind darüber hinaus ein Mitfahrportal und mehr Radwege. Das Mitfahrportal ist als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr gedacht und soll als App genutzt werden können. Um die Zahl der Radwege zu erhöhen, erstellt der Kreis ein Radverkehrskonzept. Es soll an die Topografie des Landkreises angepasst werden und einen wichtigen Grundstein legen, um die Radinfrastruktur zu verbessern. Eine intensive Bürgerbeteiligung ist vorgesehen. Sie soll für eine optimale Akzeptanz sorgen.
Ein weiteres zentrales Element: Der Landkreis will einen Innovationsfonds für kreiseigene Städte und Gemeinden auf die Beine stellen. Er soll weitere, im Rahmen einer Ausschreibung ausgewählte Klimaneutralitätsprojekte finanziell unterstützen. Die Maßnahmen müssen einen besonderen Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen leisten. Die Höhe der Förderung ist abhängig von der Förderwürdigkeit der konkreten Maßnahme entsprechend den Auswahlkriterien. Eine vom Landkreis Calw bestellte Jury bewertet die eingereichten Anträge und schlägt dem zuständigen Landrat diejenigen Projekte vor, die aus dem Innovationsfonds gefördert werden sollen.
Austausch untereinander und Hilfestellung von außen
Die vom Land gewährte Förderung erstreckt sich über die nächsten drei Jahre. In diesem Zeitraum sollen die Kommunen erste Aktivitäten und Maßnahmen aus den ambitionierten Klimaschutzkonzepten umsetzen. Die KEA BW steht den Preisträgerkommunen als Kontaktstelle zur Verfügung. Die Landesenergieagentur organisiert außerdem einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch zwischen den Kommunen sowie eine Vernetzung mit anderen, interessierten Gemeinden, Städten und Landkreisen. Zu diesem Zweck sollen unter anderem Treffen bei den vier Kommunen stattfinden und Einblicke in die Aktivitäten vor Ort geben.
Ansprechpartnerin bei der KEA-BW: Annika Weiss, annika.weiss@kea-bw.de.
Ansprechpersonen Presse:
Beate Schade
KEA Klimaschutz- und Energieagentur
Baden-Württemberg GmbH
Kaiserstr. 94a
76133 Karlsruhe
+49 172 189 1442
beate.schade@kea-bw.de
Axel Vartmann
PR-Agentur Solar Consulting GmbH
Emmy-Noether-Straße 2
79110 Freiburg
+49 761 38 09 68-23
vartmann@solar-consulting.de
Quelle: Pressemitteilung der KEA-BW
Foto: Verleihung der Urkunde an die Stellvertretenden der Gemeinde Denzlingen, eine von vier Siegerinnen des Förderwettbewerbs "Auf dem Weg zur Klimaneutralität". V.l. Diana Sträuber (Klimaschutzmanagerin Denzlingen), Markus Hollemann (Bürgermeister Denzlingen), Thekla Walker (Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Land Baden-Württemberg). Foto: Melanie Lackner, Gemeinde Denzlingen